ALTERNATIVEN

Mittwoch, 28. Juni 2006

PARTIZIPATORISCHE DEMOKRATIE

Alle entscheiden, was die Kommune ausgibt
Brasilianische Stadt Porto Alegre macht Direktdemokratie vor


In seinem Vortrag beim „Sozialforum Amper“ über Porto Alegre zeigte Antonio Andrioli, wie Bürger selbst über den Haushalt bestimmen können.

Fürstenfeldbruck. Ausgerechnet eines der so genannten Sehwellenländer macht vor, wie hoch entwickelte Demokratie der Politikverdrossenheit vorbeugen kann: In der brasilianischen 1,4-Millionen-Einwohner-Stadt Porto Alegre haben Bürger 16 Jahre lang direkt bestimmt, wie das Geld des kommunalen Haushaltes ausgegeben wird. Was zuerst Angelegenheit von 700 Städtern war, wurde zur Erfolgssache von 40 000 Menschen.
Referent Antonio Andrioli, Sozialwissenschaftler und Brasilianer bayerisch-italienischer Abstammung, erklärte bei einer Veranstaltung des „Sozialforum Amper", wie Basisdemokratie funktionieren kann. Für ihn ist das Modell auch übertragbar.
Das Sozialforum wurde 2003 in der großen Kreisstadt als Initiative für gerechte Sozialordnung, Frieden und Ökologie gegründet. Es gehört zur globalen Bewegung des Weltsozialforums, das 2001 in Porto Alegre gegründet wurde. Die Stadt war nämlich zum Symbol für geglückte Direktdemokratie geworden.
In den ersten zwölf Jahren des so genannten Beteiligungshaushaltes, den Brasiliens neue Verfassung von
1988 ermöglichte, war die Versorgung mit Trinkwasseranschlüssen von 80 auf 98 Prozent gestiegen. Gab es 1989 nur für 46 Prozent der Porto Alegrianer einen Abwasseranschluss, waren 1996 schon 96 Prozent ins Kanalisationssystem integriert. Zwischen 1989 und 1999 hatten sich die Schuleinschreibungen verdreifacht. Die Stadt liegt heute an der Spitze der Kommunen mit der höchsten Lebensqualität.

„Die Lust an der Politik stieg von Jahr zu Jahr"
In Porto Alegre war mit 20 Prozent des Haushalts Volumens der Teil öffentlicher Gelder zur Direktbestimmung freigegeben, der für Investitionen zur Verfügung stand. Wahlberechtigte Bürger der einzelnen Stadtbezirke legten zu Jahresbeginn in Vorberatungen und Bezirksversammlungen Prioritäten für Ausgaben fest. Ein thematisch ausgerichtetes Fachforum überprüfte besonders komplexe Vorhaben.
Auf einer Stadtversammlung im Juli, auf der Bezirksdelegierte jeweils zehn Bürger vertraten, wurden Prioritäten der Einzelbezirke „nach dem Prinzip der Solidarität" abgeglichen. Ein operativer Rat, in dem zum ersten Mal auch Vertreter der Kommune auftauchten, erarbeitete einen Haushaltsentwurf aus und übergab ihn Ende September an den Stadtrat.
„Die Lust an Politik, die an tatsächlichen Bedürfnissen ausgerichtet ist, stieg von Jahr zu Jahr", kommentierte Andrioli die Bürgerbeteiligung. „Auch der einfachste Bürger versteht nach ein paar Malen, wie ein Haushalt funktioniert. Er ist genauso kompetent wie ein Stadtrat."
Nur ein einziges Mal während 16 Jahren habe der Stadtrat den Bürgerentwurf nicht genehmigt. Dabei sei es um die im zweiten Anlauf durchgesetzte Kommunalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs gegangen.
Andrioli hält den Demokratieprozess in der brasilianischen Kommune für übertragbar: „Es handelt sich aber um kein Modell, sondern um eine Erfahrung", machte der Wissenschaftler deutlich. Es komme auf eine grundsätzliche Bereitschaft an und nicht auf starres Kopieren.

Begleittext zum Bericht:

Bürger besser als Stadträte?
Auch beim basisdemokratischen Beteiligungshaushalt der brasilianischen Millionenstadt Porto Alegere lief nicht immer alles glatt. Referent Antonio Andrioli nannte unter anderem Schwierigkeiten mit Planern der Stadtverwaltung, die sich in Arbeit und Einfluss beschnitten sahen. Bei den Delegierten der Bezirksversammlungen habe man später bestimmt, dass sie keiner anderen, organisierten Interessengruppe angehören dürften. „Auch dieser Weg wirklich repräsentativer Bürgerdemokratie muss immer wieder kritisch überprüft werden", betonte Andrioli. Eines sei aber sicher: „40 000 Bürger sind nicht so leicht zu manipulieren wie zum Beispiel die kleine Gruppe bezahlter Stadträte." Nach den Erfahrungen in Porto Alegre müsse man sich fragen, ob es überhaupt nötig sei, Geld für so ein Gremium auszugeben. Repräsentative Demokratien nach westlichem Muster müssten „entprivatisiert" werden.

Max Freisleder
Münchner Merkur/Fürstenfeldbrucker Tagblatt – 19.6.2006

Demokratie in der Diskussion

Sozialforum Amper - Initiative für gerechte Sozialordnung, Demokratie, Frieden und Ökologie

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